Julian Assanges letzte Anhörung

 

Der eiserne Käfig in dem kleinen holzgetäfelten Gerichtssaal 5 des “Royal Courts of Justice” blieb zwei Tage lang leer: Julian Assange ist erkrankt und konnte weder persönlich noch über Videolink aus dem Gefängnis in Belmarsh an der Anhörung teilnehmen. Auch wenn die Auslieferung des Wikileaks-Gründers an die USA von großer internationaler Bedeutung ist, war auch ansonsten kaum Öffentlichkeit zugelassen – Journalisten mussten in  London akkreditiert sein, um einen Platz im Nebenraum zu bekommen, wo sie  eine Übertragung  in schlechter Ton,- und Bildqualität verfolgen konnten. Ein Vertreter der Journalistenorganisation “Reporter ohne Grenzen”, die überall Gerichtsverfahren gegen Journalisten begleitet – und dieses Mal reinkamen – , sagte auf der Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude, eine solche Abschottung der Öffentlichkeit auf der ganzen Welt noch nicht erlebt zu haben. Tatsächlich ist die gesamte Strafverfolgung Assanges von Beginn an eine Farce zwischen Kafka und Stalin, die der Whisltblower Edward Snowden auf den Punkt gebracht hat: „Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.“
Joe Louria von Consortium News hat es in den Verhandlungssaal geschafft, in dem Assanges Anwälte am Dienstag vor den beiden Richtern Jeremy Johnson und Dame Victoria Sharp zuerst ausführlich auf die schwerwiegenden Rechtsfehler in den vorangegangen Verfahren eingingen, in den zuletzt eine Berufung Assanges gegen den Auslieferungsbescheid des Innenministeriums verworfen worden ist:

„  Anwalt Mark Summers sagte, Baraitser habe (in den vorausgegangen  Verfahren) nie die Frage aufgeworfen, warum nach der Veröffentlichung der Irak- und Afghanistan-Kriegsprotokolle durch WikiLeaks sechs Jahre verstrichen seien, bevor Assange strafrechtlich verfolgt wurde, und er habe nie gefragt, was die USA plötzlich veranlasst habe, gegen ihn vorzugehen. Baraitser wusste, dass der ICC gegen Assanges Afghanistan-Enthüllungen ermitteln würde, sagte Summers.

“Es gab hinreichende Beweise für eine Verbindung zwischen beiden, aber die Bezirksrichterin erwähnte sie nicht”, sagte er. Sie ignorierte auch den Plan, Assange zu töten oder auszuliefern, obwohl sie in ihrem Gericht Beweise dafür gehört hatte.
DAY ONE: Assange Timeline Exposes US  Motivs (Übersetzt mit DeepL.com) „

 

Die illegale Überwachung Asssanges in der ecuadorianischen Botschaft durch eine spanische  Firma im Auftrag der CIA ist dort mittlerweile ebenso aktenkundig, wie die Belege, ihn zu kidnappen, die in den ersten Verfahren ignoriert wurden  – um zu dem Beschluss kommen zu können, dass der Delinquente im Auslieferungsland  humane Behandlung und ein faires Gerichtsverfahren erwarten könne.

Assanges zweiter Anwalt “Edward Fitzgerald, bezeichnete die Spionage, derer Assange angeklagt ist, als “rein politisches Vergehen”. Diese Frage ist für Assanges Verteidigung von entscheidender Bedeutung, da der Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien Auslieferungen wegen politischer Straftaten ausschließt. Das Auslieferungsgesetz, die parlamentarische Durchführungsbestimmung zum Vertrag, erwähnt jedoch keine politischen Straftaten.(…) Das Team von Assange argumentierte, dass er wegen eines politischen Verbrechens gesucht werde und die Auslieferung daher nicht erfolgen dürfe. Sie argumentierten, dass das Gesetz die Auslieferung wegen “politischer Meinung” verbietet, was sie mit “politischer Straftat” gleichsetzen.”

Soweit Joe Luria, der am Ende des ersten Tags festhält, dass die beiden Richter offenbar nicht allzu tief in den gesamten Fall Assange eingearbeitet waren  und ” die politischen, rechtlichen und die Pressefreiheit betreffenden Fragen sehr interessiert zur Kenntnis nahmen”:  “Es handelt sich um hochrangige Richter, die möglicherweise weniger anfällig für politischen Druck sind.” Diese Hoffnung kam auch an einem Round Table  von  Journalisten zur Sprache, die ihre Eindrücke aus dem Gerichtssaal wiedergaben. Craig Murray, der ehemalige britische Diplomat und langjährige Assange-Unterstützer, der schon die vorhergegangenen Verfahren live verfolgt hat, berichtet von einer stark veränderten Atmosphäre, weil die Richter die Argumente des Assange-Teams erstmals richtig ernst zu nehmen scheinen. Er führt dies darauf zurück, das die öffentliche Meinung in den letzten Jahren gekippt sei und sich mittlerweile sämtliche großen Medienorganisationen für die Freilassung Assanges ausgesprochen haben.

Am Mittwoch plädierte dann die Anwältin Clair Dobbin für  die US-Regierung und sagte, Assange habe den amerikanischen Sicherheits- und Nachrichtendiensten geschadet und durch die Veröffentlichung von Dokumenten “ein schwerwiegendes und unmittelbares Risiko”  geschaffen,  das unschuldigen Menschen in Kriegsgebieten oder unter repressiven Regimen schaden und zu willkürlichen Verhaftungen führen könnte. Wie  seit je blieb die US-Seite aber konkrete Beweise dafür schuldig, wem durch welche Wikileaks-Veröffentlichung jemals irgendwo Schaden zugekommen ist – und wie seit je wurde argumentiert, dass die Wikileaks-Veröffentlichungen mit Journalismus nichts zu tun hätten. Vielmehr habe Assange Chelsea Manning und andere angestiftet Diebstahl und Hackerangriffe zu begehen. Dies sei kein politisches Verfahren, so Dobbin,  es basiere “auf Recht und Beweisen und ist trotz der Regierungswechsel in den USA während des Rechtsstreits unverändert geblieben.” Wenn sowohl Trump wie auch Biden dahinterstehen, ist es also in Ordnung, und kein politisch motiviertes Verfahren ?

Bevor die beiden von den Anwälten mit “your Lady” und “my Lord” angesprochenen Perückenträger ihr Urteil fällen, können einige Wochen oder Monate vergehen. Wenn sie dem Team Assange stattgeben, wird es eine weitere Berufungsverhandlung gegen den Ausweisungsbeschluss des Innenministeriums vom Juni 2022 geben, wenn sie den Plädoyers der USA folgen, ist dieser Beschluss gültig. Julian Assange bleibt dann als letzter Strohhalm nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Und Journalisten überall auf der Welt die Lektion, jederzeit verhaftet und ausgeliefert zu werden, wenn sie etwas publizieren, was den Vereinigten Staaten nicht passt. Und dass auch ein Australier, dessen Firma in Europa ansässig ist, Staatsgeheimnisse der USA für sich behalten muss, wenn er davon erfährt. Wenn Ihnen das absurd vorkommt, sind Sie zum Kern dieses ganzen Strafverfahrens vorgestoßen, denn es geht hier nicht um kriminelle Delikte, sondern um politische Strafverfolgung, nicht um die Ermittlung und Ahnung strafbarer Handlungen, sondern um einen Schauprozess. Assange und Wikileaks haben nichts anderes getan als Zeitungen, Sender, Medien auf der ganzen Welt es tun. Unter den hunderttausenden publizierten Dokumenten hat sich kein einziges als Fälschung oder Unwahrheit herausgestellt – im Zeitalter von Fake-News und Desinformation eine höchst ehrenwerte Bilanz für ein Medienunternehmen. Die Auslieferung Julian Assanges würde einen Präzedenzfall schaffen, der den Journalismus und die Pressefreiheit weltweit ernsthaft bedroht. Es geht hier also nicht nur um einen zu Unrecht gejagten und eingekerkerten Menschen, sondern um die Fundamente von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Diesem globale Aspekt des Falles entsprach die breite internationale Unterstützung vor dem Gerichtsgebäude  – auch 16 Mitglieder des Europäischen Parlaments hatten einen Zuschauerplatz im Saal – und die große Demonstration zum Regierungssitz Downing Street im Anschluss an die Anhörung. Wenn sich die beiden Richter jetzt tatsächlich nach Recht und Ordnung und nicht nach dem Willen der CIA mit dem Fall beschäftigen, könnte der Funken Hoffnung aufleuchten: No Extradiction! Free Julian Assange!

Erschienen auf Overton

 

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Mathias Bröckers : Vom Ende der unipolaren Welt, ‎ Fifty-Fifty (Oktober 2022),  288 Seiten, 20 Euro

 

6 Comments

  1. Der Mann soll in den Tod getrieben werden. Ein schönes Zeugnis stellt sich da unser “Wertewesten” selbst aus.

  2. @Kilgore Trout
    22/02/2024 at 16:58
    nicht nur Assange, auch Trump LoL
    http://www.armstrongeconomics.com/international-news/rule-of-law/nyc-out-of-control-giant-short

    Allmählich sollte es mal bimmeln,
    dass der US-Hegemon nach seiner imperialistischen Aneignungsphase
    jetzt unter dem WEF-Biden-Regime und unter der Neocon-Ägide in den Modus einer NGO-betriebenen Selbstzerstörung übergeht und defizitär ausgemistet wird

    7 Aktien machen 70% vom Börsenwert aus
    US-Kriege gehen alle verloren > 6 Millionen Illegale fluten USA ..
    Keine Identitätsprüfung, sofort Sozialhilfe und Bus-Zugtickets for free
    KP-Chinesen-“Schläfer” auf Sonderwegen…was wollen die ?
    Crack dealen- Wok-Pfannen wenden- leere Covid-Büros putzen-Biden wählen
    Kandidaten für US-National-Garde…dann auf “Wurzel-Amis” schiessen wenn der nächste US-Bürgerkrieg losgeht ? http://www.youtube.com/watch?v=M7TNP2OTY2g

    Wir im Kindergarten
    Biden nennt Wladimir Putin einen “durchgeknallten Mistkerl”
    Putin ist für Joe Biden nicht für Trump 🙂
    http://www.zeit.de/politik/ausland/2024-02/wladimir-putin-lob-joe-biden-praesidentschaftswahlkampf-donald-trump

    Sagenhaftes Interview und eine ebenso sagenhafte Analyse
    http://www.youtube.com/watch?v=nsHE5A-WDvQ

  3. Leute wie Lassange oder Navalny sind Verräter.

    Die kommen bestimmt nicht in den Matrix-Himmel. Das werde ich gleich einrichten

  4. „Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.“ Der Aphorismus ist so gut, der könnte glatt ein ganzes Buch füllen.

    Das Ende der Tyrannenmacht hat der alte Shakesspeare in McBeth beschrieben: “Nun bin ich hier so tief in Blut gestiegen, Daß, wollte ich im Waten stille steh’n, Der Weg zurück so schwer ist als voran zu geh’n.”

    Die McBeth-Verfilmung von Roman Polanski ist besser als alle Theater-Aufführungen zusammen.

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